Covid-19 regiert in alle Wirtschaftsbereiche und Geschäftsbeziehungen hinein. Vieles hat sich seit März verändert. Kaum noch ein Stein ist auf dem anderen. Spätestens nach der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel am 22. März 2020 kam mit dem Lockdown auch die Veranstaltungsbranche zum Erliegen – überall „Doors closed“. Für MICE gingen als erstes die Lichter aus und die Branchen-Auguren prophezeien, dass die Eventbranche auch als Letztes wieder in den Markt gehen wird.
Unter Corona-Bedingungen klaffen Wunsch und Wirklichkeit auseinander wie kaum zuvor. Zum einen sind da die diversen Grundrechtseingriffe. Sie resultieren im Wesentlichen aus dem Infektionsschutzgesetz, dem Corona-Arbeitsschutzstandard und der Arbeitsschutzregel des BMAS, der jeweiligen Coronaschutzverordnung der Bundesländer sowie den (Allgemein-) Verfügungen der Kommunen bzw. Gesundheitsämter und ggf. der Ordnungsämter.
Andererseits besteht bei Veranstaltern und Besuchern der dringende Wunsch nach Live-Events. Nur eines muss sein: Sicher müssen sie sein. Das Motto des geplanten Konzerts mit Sarah Connor und Bryan Adams am 4. September 2020 in der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena hat es, auch wenn die Veranstaltung kurzfristig abgesagt wurde, auf den Punkt gebracht: „Back to Live“.
Bloß wie? Veränderungen sind meist schleichende Prozesse. Sie können sich aber auch an einem Ort, zu einem Datum fokussieren und sich so in das kollektive Gedächtnis einbrennen. Für Events und die Veranstaltungssicherheit sind das Unglück der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg, die Ausrufung der Corona-Pandemie durch die WHO am 11. März 2020 und eben der 22. März 2020 derart einschneidenden Wendemarken. Diese Ereignisse haben die Veranstaltungswelt praktisch schlagartig verändert!
Die Themen Veranstaltungssicherheit und Sicherheitskonzepte sowie (Corona-) Infektionsschutz und „Besondere“ Hygienekonzepte sind für Events, Tagungen und Kongresse nicht mehr wegzudenken. In Ergänzung zu Risikoanalyse / Sicherheitsbeurteilung und Arbeitsschutz sowie Wirtschaftlichkeit gehören spätestens jetzt auch die Veranstaltungssicherheit im umfassenden Sinn mit Sicherheitskonzept und Infektionsschutz zu den Big Points des Veranstaltungswesens. Das macht jedes „Back to Live“ aufwändiger und teurer.
Nach Wochen und Monaten der Schockstarre, als im Veranstaltungsbereich fast gar nichts mehr ging, gibt es nun vielerorts Bemühungen, Visionen zu entwickeln und sich auf den Weg zu neuen Ufern zu machen.
Zaghafte Anläufe, so mancher Fetisch und überall ein „Aber“
Seminare, Schulungen mit wenigen Teilnehmern und viel Abstand in großen Räumen bzw. am besten im Freien fanden in den letzten Wochen und Monaten schon wieder statt. Die Planung ist riskant und verlangt Mut und Entschlossenheit. Kein Veranstalter und kein Planer kann im Voraus wissen, was am Veranstaltungstag letztlich Sache sein wird – im Zielgebiet oder in den Herkunftsregionen der Teilnehmer. Die Coronaschutzverordnungen der Länder ändern sich seit Monaten kurzfristig und das z.T. auch gravierend. So hat es z.B. Nordrhein-Westfalen mehrfach geschafft, Verordnungen in kürzester Folge zu erlassen – im Abstand von zwei bzw. drei Tagen und Anfang Mai in einer Woche sogar vier Mal! Wer soll da als Betreiber, Planer bzw. Veranstalter noch mitkommen?
Und letztlich steht auch immer die bange Frage im Raum: Wie viele Teilnehmer stellen ihre Sorgen und Ängste über die Lust am Dabeisein oder befinden sich möglicherweise am Veranstaltungstag sogar in Quarantäne? Jetzt aber kommt es noch schlimmer: Was wird aus diesen mutigen Formaten „an der frischen Luft“ bei Regen, im Späterbst oder im Winter? Dann erledigt sie sich von alleine. Ist das zaghafte Anlaufen also schon ein Trend oder doch eher eine „Eintagsfliege“?
Nehmen wir Autokinos. Jahre und Jahrzehnte waren sie out und jetzt sind plötzlich wieder auferstanden – auch für Gottesdienste, Konzerte und Comedy. Letztlich war und ist das eine reine Verlegenheitslösung, die ihr Verfallsdatum schon wieder erreicht hat.
Ach ja: Die so gern herbeigebeteten Hybridformate. Ist „Live trifft Digital“ der Heilsbringer? Online, Streams, Webinare und ähnliches gibt es ja schon länger. Plötzlich schießen die Online-Angebote überall wie Pilze aus dem Boden. Dies, obwohl doch letztlich alle wieder Präsenzveranstaltungen wollen – soweit die jeweils gültigen Coronaschutzverordnungen bestimmte Möglichkeiten eröffnen und das loko-regionale Infektionsgeschehen dem nicht gleich wieder einen Strich durch die Rechnung macht. In dieser einzigartigen Krise der menschlichen Nähe und Begegnung wird Hybrid zum „Deus ex Machina“ gehypt– d.h., die Parallelaufstellung mit (wenig) Präsenzpublikum bei der Live-Veranstaltung vor Ort und einem tendenziell unendlichen Teilnehmerkreis Online. Na bitte, das wäre doch die vermeintlich perfekte Symbiose von Live-Erlebnis und Reichweite! Ist das wirklich so? Wer hat das gemessen? Ich habe da so meine Zweifel! Dies insbesondere, wenn es Mängel bei der Übertagungs- / Zuspieltechnik, bei der Moderation und nicht zuletzt bei der Didaktik und Dramaturgie gibt, wie vielfach zu beobachten ist.
Kritisch bleiben und voreilige Euphorie vermeiden
Große und/oder plötzliche Umbrüche bedeuten auch immer, dass es für das Neue noch keine Erfahrungswerte gibt. Im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern zeichnet sich der Veranstaltungsbereich nicht gerade durch Theorielastigkeit aus. Veranstaltungen -Tagungen, Kongresse, Events- haben zwar Eingang in die akademische Welt gefunden, doch ist das praktisch verwertbare Feedback noch recht überschaubar und für den Praktiker selten eine wertvolle Hilfe. Für viele Entscheidungen, egal ob Pro oder Contra, fehlt es noch immer an Evidenz. Umso wichtiger sind praktische Erfahrungen der Entscheider und Berater in Verbindung mit kritischer Reflexion. Die extrem gebeutelte Veranstaltungsbranche braucht jetzt eine kleine Quadratur des Kreises, nämlich quasi ein erfahrungsgeleitetes, kopfgesteuertes, kooptiertes Bauchgefühl. Zugleich ist es ein Schrei nach Wissenschaft, damit die Corona-Entscheidungen der Politik endlich auch für die Veranstaltungsbranche evidenzbasiert erfolgen – und das hoffentlich bald.
Der enorme Erkenntnisgewinn der medizinischen Forschung in den letzten Monaten macht es möglich, dass die Gebote und Verbote der Politik in der Corona-Pandemie z.B. für Kitas und Schulen, Gastronomie und Hotellerie zunehmend differenzierter werden. Dies z.T. auch dank mehrerer Verwaltungsgerichte, die mit Beschlüssen in Eilverfahren diverse Grundrechtseingriffe der Länder mit Verordnungen bzw. Allgemeinverfügungen vorläufig außer Vollzug gesetzt haben. Systematische Forschung zu den (vermeintlichen) Risiken verschiedener Veranstaltungstypen und Formate und der angestrebten „neuen Normalität“ sind eher selten.
Ein Leuchtturmprojekt ist sicher die Simulationsstudie „Restart-19“ der Universitätsmedizin Halle (Saale), gefördert mit rund einer Million EURO vom Land Sachsen-Anhalt und vom Freistaat Sachen. Die Feldstudie fand am 22. August 2020 mit rund 1.500 Probanden in der ARENA Leipzig statt. Die Studienergebnisse werden mit Spannung erwartet. Keine Frage, wir brauchen mehr Studien und vor allem gute Studien, die praxisrelevant sind und mit denen wir bei der Politik punkten können. Gute Studienergebnisse öffnen das Tor für eine Zukunft, in der Veranstaltungen differenziert betrachtet und „verantwortlich“ wieder möglich sind und nicht nur „verantwortlich“ verboten werden. Einige Millionen Fördergeld für gezielte Studien zu praxisnahen, entscheidungsrelevanten Fragestellungen sind besser investiert und könnten schon mittelfristig mehr Wirkung zeigen, als Milliarden EURO unspezifisch für Überbrückungshilfen „verballert“ – wenngleich diese für die Veranstaltungsbranche kurzfristig überlebenswichtig sind.
Und bis dahin? Man muss experimentieren. Ergebnisse sind kritisch zu hinterfragen. Nichts voreilig euphorisch bejubeln. Und am Ende für die Zukunft den richtigen „Riecher“ haben. Das geht nicht ohne Erfahrung. Wer´s einfacher haben will, der läuft Gefahr, in falsche Gewissheiten hinein zu taumeln.
Über den Autor:
Dr. Frank Mücke, Geschäftsführer der kodex-zertifizierten Kölner Full-Service-Agentur comed GmbH ist seit 30 Jahren in der Veranstaltungsorganisation tätig, speziell in den Bereichen Pharma, Medizintechnik, Wissenschaft und Verbände. Zum Portfolio gehören die Organisation „kleiner und feiner“ Events ebenso wie größere Kongresse mit mehreren Tausend Teilnehmern.
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